Furnace Creek 508
Höllentrip durchs Tal des Todes
820 Kilometer über alle Wüstenberge: Von einem der auszog, um auf dem Rad seine Grenzen zu testen
BISCHBERG. Natürlich könnte man von Bischberg auch eben mal nach Warschau strampeln, nach Kopenhagen oder nach Florenz. Doch das ist nicht dasselbe wie die 820 Kilometer von Santa Clarita bei Los Angeles nach Twenty Nine Palms in der Mojave-Wüste. So heißt der Zielort eines der härtesten Fahrradrennen der Welt. Gerhard Dobmeier aus Bischberg hat die Tortur als bisher sechster Deutscher gemeistert: in exakt 33 Stunden.
von Michael Wehner
Tal des Todes: Nur ein Verrückter käme auf die Idee, dort Rennrad fahren zu wollen, wo nicht einmal die Kakteen überleben. Im Sommer werden hier die höchsten Temperaturen auf der Erde gemessen: 60 Grad im Schatten drohen jedem, der sein klimatisiertes Auto längere Zeit verlässt, das Hirn aus dem Schädel zu brennen.
Doch das Zentralgestirn meinte es gut mit dem 42-jährigen Orthopäden aus Oberfranken. Als Dobmeier sein silbergraues Titanrad für das längste und härteste Rennen seines Lebens sattelte, begann für ihn und andere 75 Leidensgenossen ein Oktobertag mit vergleichsweise milden 43 Grad um die Mittagszeit. In der Nacht sanken die Temperaturen auf 30 Grad.
Furnace Creek 508: Es ist ein Bachbett mitten in einem Meer aus totem Stein, das einer Sache seinen Namen geliehen hat, die selbst erfahrenen Sportlern Schreckensfalten auf die Stirn treibt. Ein 820 Kilometer langes Rennen durch die Wüste, über zehn ausgewachsene Berge, die zusammengerechnet beinahe das Vierfache der Zugspitze ergeben; das Ganze am Stück und ohne Pause oder Schlaf, auf einer rauen Asphaltpiste, wo tagsüber die Hitze brütet und nachts die Coyoten heulen. Die wenige Jahre alte Idee treibt ihrer Härte zum Trotz eine wachsende Schar von Rennrad-Enthusiasten und Profisportlern über die 508 Meilen-Distanz zwischen dem Stadtrand von Los Angeles, der Mojave-Wüste und dem Tal des Todes.
Auch Gerhard Dobmeier, in der hiesigen Ausdauerszene vor allem im Triathlon eine bekannte Größe, ließ sich von dem Wagnis und dem kaum vorstellbaren Kraftakt locken, der jenseits des großen Teichs auf ihn zu warten schien. Ich wollte sehen, was passiert, wenn man Ausdauersport über die üblichen Grenzen hinaus betreibt. Und ich habe mich auch auf die einmalige Wüstenlandschaft gefreut.
Doch mit Treten allein war es nicht getan: Jeder Starter musste ein eigenes Begleitfahrzeug aufbieten, das ihn mit allem Nötigen unterstützte und nicht zuletzt für die Sicherheit da war: Das Auto spendete mit seinem Scheinwerferkegel in der Nacht das Licht, vor allem lieferte es den Proviant bei den wenigen Pausen.
Denn ein paar Müsli-Riegel während der Fahrt hastig gekaut, wie man es von den Helden der Tour de France kennt, reichen nicht mehr aus, wenn Sportler ihren Körper zu Daueranstrengungen nötigen, die weit über den Arbeitstag eines normalen Menschen hinausgehen. Wer bei einem solchen Ultra-Marathon den Kohlehydrat-Nachschub nicht bewerkstelligt, wird über kurz oder lang vom Sattel steigen und aufgeben. Auch Dobmeier stand kurz davor: Ich konnte keine Riegel mehr sehen. Mein Körper hat sich geweigert, der Magen gestreikt, erzählt er vom schlimmsten Moment des Rennens. Wenn Nudeln Tote zum Leben erwecken können, dann war es hier der Fall: Nur den von Begleiter Gregor Malinowski gekochten Makkaroni ist es zu verdanken, dass Dobmeier nach zehn Stunden und über 300 Kilometern auf der Straße seinen Tiefpunkt überwinden konnte und die Schlüsselstelle der Strecke: den 1700 Meter hohen Townspass.
Die restlichen 23 Stunden, eine ganze Nacht und ein Tag, standen zu diesem Zeitpunkt noch vor ihm: Eine unvorstellbare Quälerei, wie sich der Radfahrer erinnert Mit Sport, der Spaß macht, hat das nichts mehr zu tun. Es gelang ihm dennoch, den Widerwillen zu zähmen, weiter zu machen, weiter zu treten, indem er sich in einen Trott aus Fahren, Essen und Trinken rettete. Ein Kampf gegen die endlos lange Linie der Straße, die sich zwischen den Wüstenbergen wand, den Gegenwind, der über die offene Fläche pfiff und gegen eine Art körperlicher Schmerzen, die Dobmeier in seiner über zwei Jahrzehnte dauernden Karriere als Leistungssportler noch nicht kennen gelernt hatte: Schwellungen am Ellenbogen vom Liegen auf dem Aero-Lenker, ein Hintern, der das Sitzen auf dem Sattel nicht mehr ertragen wollte und Finger, aus denen nach stundenlangem Halten des Fahrradlenkers jedes Gefühl gewichen war.
Exakt 33 Stunden nach dem Startschuss, drei Stunden später als der Sieger, schaffte es Dobmeier schließlich als 16. ins Ziel. Positive Empfindungen wie bei anderen Rennen im Ziel mochten sich im Wüstenort namens Twenty Nine Palms trotz der guten Platzierung nicht einstellen. Zu groß war die Erschöpfung, um Triumphgefühle zu empfinden. Ich wollte einfach nur noch fertig sein, essen und schlafen.
Gibt es eine Steigerung für Leute, die sich 820 Kilometer am Stück durch die Wüste gequält haben? Es gibt sie: Teilnehmer beim Furnace-Creek-Rennen können sich für das legendäre Race across America qualifizieren, bei dem Fahrradfahrer ohne Pause den nordamerikanischen Kontinent durchqueren. Doch von der Lust auf solche sportlichen Großtaten scheint Dobmeier geheilt, vorerst zumindest: Kein Interesse. Das werde ich nie machen!
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