Boston-Marathon

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Datum

Uli Walters Tagebuch vom Boston-Marathon

 

Freitag, 17.04.2009 12:30 Uhr

 

Ich sitze im Flieger nach Boston, um beim dortigen Marathon zu starten. Aus dem Internet weiss ich, dass dort zwei weitere Oberfranken antreten werden, die ich bisher jedoch nicht persoenlich kenne: Werner Dotterweich und Roland Saulich vom TSV Schesslitz. Es stellt sich heraus, dass die beiden in derselben Reihe neben mir sitzen. Eine bessere Einstimmung fuer die naechsten Tage kann es kaum geben.

 

Freitag, 17.04.2009 16:00 Uhr

 

Das bei weitem nicht ausgelastete Flugzeug ist zu einem grossen Teil mit Laeufern besetzt. Und was macht Lufthansa? Lufthansa zeigt zwei Hundefilme! Werden auf der Reise nach Mekka wohl die 10 Gebote gespielt? Wenigstens die Piloten haben ein Einsehen und bereiten dem ganzen ein vorzeitiges Ende, indem sie 20 Minuten frueher als geplant in Boston landen.

 

Freitag, 17.04.2009 19:00 Uhr

 

Als (Wahl-)Oberfranke weiss ich die Produkte kleiner Braureien zu schaetzen. Ich suche also gleich am ersten Abend die zum Hotel naechstgelegene Hausbrauerei (Beerworks) auf. Das dort angebotene Pale Ale kann sich sehen lassen!

 

Samstag, 18.04.2009

 

Nach einer jetlag-gepraegten, viel zu kurzen Nacht und einer morgendlichen Trainingsrunde mit der Interair-Reisegruppe geht es auf Shopping-Tour. Ich habe schliesslich eine lange, bebilderte (!) Wunschliste der Daheimgebliebenen abzuarbeiten. Nebenbei gilt es, die Sehenswuerdigkeiten des Freedom-Trails abzulaufen und bei jeder Gelegenheit (insgesamt fuenf Portionen) Pasta zu konsumieren. Abends spuere ich jeden einzelnen Oberschenkelmuskel.

 

Sonntag, 19.04.2009 13:00 Uhr

 

Zufaellig treffe ich Werner und Roland in der Stadt. Wir gehen zusammen ein paar Nudeln essen. Die beiden sind schon merklich nervoes, weil ihnen das Wetter voraussichtlich keine Bestzeiten erlauben wird. 8 Grad Celsius und Gegenwind sind angekuendigt. Ich freue mich darueber, dass von mir niemand zu Hause eine besondere Leistung erwartet.

 

Sonntag, 19.04.2009 18:00 Uhr

 

Die Pasta-Party ist perfekt organisiert. In der Warteschlange vor der City-Hall werden die Gaeste zunaechst durch ein Circus-Zelt gefuehrt, in dem Artisten Kunststuecke auffuehren. Im weiteren Verlauf der Schlange sorgen Clowns fuer Kurzweil. Und das Beste kommt erst noch: Neben reichlich Nudeln gibt es auch Bier fuer die Sportler! Das macht mich mindestens so gluecklich wie Vincent Vega beim Oeffnen des Aktenkoffers.

 

Montag, 20.04.2009 05:30 Uhr

 

Um die Eignung meiner Kleidung fuer die kuehlen Temperaturen zu testen, laufe ich nach dem Fruehstueck ein paar Meter vor dem Hotel herum. Sogleich merke ich die Spuren, die das Power-Shopping in meinen Oberschenkeln hinterlassen hat. Na prima - zum ersten Mal beginne ich einen Marathon bereits mit Muskelschmerzen! Also schnell nochmals in Bad - Aspirin einwerfen und Voltaren aufs Bein!

 

Montag, 20.04.2009 08:00 Uhr

 

Nach einem kleinen Fussmarsch und einer 45-minuetigen Busfahrt bin ich im Startbereich angekommen, dem Athletes Village. Zwischen den fast 23.000 Startern treffe ich - wie sollte es anders sein - nach kurzer Zeit auf Werner und Roland. Die beiden sind nervoes wie zwei Vollbluthengste. Es ist kalt und windig. Nach der Kleiderabgabe geht es auch schon weiter in die streng durchnumerierten Startboxen - jeweils eine fuer 100 Starter. Da die Startnummern der Rangfolge der Qualifikationszeiten entsprechen, wird auf diese Weise eine Aufstellung der Laeufer nach ihrer Leistungsstaerke gewaehrleistet. Bei dem in Europa ueblichen Ausflug in die Buesche, um die vor dem Start chronisch ueberlasteten WC-Haeuschen zu umgehen, ist in Boston uebrigens Vorsicht angebracht. Wer erwischt wird, wird umgehend disqualifiziert!

 

Montag, 20.04.2009 10:00 Uhr

 

Der Startschuss ist gefallen. Fuer meinen Geschmack laufen alle viel zu schnell los. In Boston scheinen alle Amerikaner offensichtlich Bestzeit laufen zu wollen. Deshalb findet man auch kaum verkleidete Laeufer. Selbst Werner erzaehlt spaeter, dass er zu Beginn nur ueberholt worden ist. Er laesst sich dadurch aber nicht von seinen Vorgaben abbringen.

 

Montag, 20.04.2009 11:40 Uhr

 

Ich passiere das Boston College. Die Maedels dort hoert man bereits lange im voraus hysterisch schreien. Auf ihre hochgehaltenen Schilder mit den Aufschriften Free Kisses oder Kiss me - I am Asian gehe ich vorsichtshalber nicht ein (das wuerde ich an dieser Stelle natuerlich auch niemals zugeben ...). Nach dem College ist mein rechtes Ohr ganz taub.

 

Montag, 20.04.2009 11:50 Uhr

 

Die Halbmarathon-Marke liegt hinter mir. Bis jetzt lief es trotz Muskelproblemen und Pinkelpause noch ganz gut, aber die Durchgangszeiten werden schon schlechter. Die wellige Strecke und der kalte Gegenwind fordern ihren Tribut.

 


Montag, 20.04.2009 13:00 Uhr

 

Es ist schwierig, genau zu sagen, wo eigentlich der beruehmte Heartbreak Hill beginnt und endet. Klar, da war ein Steilstueck, aber erst beim Hinunterlaufen zur Stadt wird mir so richtig klar, dass er bereits hinter mir liegt. Das hatte ich mir irgendwie dramatischer vorgestellt.

 

Montag, 20.04.2009 13:20 Uhr

 
Ich halte durch, ohne Gehpausen einlegen zu muessen. Das phantastische Publikum hilft dabei enorm. Es macht aber trotzdem irgendwie keinen Spass mehr. Da kommt mir sehr gelegen, dass ein Zuschauer den Laeufern Bier anbietet. Endlich mal etwas anderes als Wasser und Gatorade!

 

Montag, 20.04.2009 13:55 Uhr

 

Nach 3:52:36 bin ich endlich im Ziel. Gegenueber meiner Qualifikationszeit von Berlin habe ich 25 Minuten verloren. So richtig zufrieden bin ich deshalb nicht. Im Zielbereich gibt es wieder mal Wasser, Gatorade und Bananen, ausserdem Bagels und Joghurt. Ich gehe trotzdem schnell weiter, um aus dem kalten Wind herauszukommen und mir bei der Interair-Gruppe mein wohlverdientes Bier abzuholen. Wegen der oertlichen Gesetze (Alkoholgenuss auf offener Strasse ist verboten) verstecke ich die Bierdose in einer Papiertuete. Na ja ...

 

Spaeter erfahre ich, dass Werner und Roland mit 2:46:18 und 2:55:15 persoenliche Bestzeiten gelaufen sind und damit auf Rang 1 und 3 der 157 Finisher aus Deutschland liegen. Darauf haben wir auf der After-Run-Party natuerlich noch ordentlich angestossen!