10 Jahre hat es gedauert, bis es endlich wieder ein Profi-Etappenrennen in Deutschland stattfinden konnte. Für die Wiederauflage 2018 waren zunächst lediglich vier Etappen geplant, für die kommenden Jahre soll die Deutschland Tour aber ausgebaut werden. Zum großen Finale auf der Theodor-Heuss-Straße in Stuttgart bei der letzten Etappe boten die Organisatoren eine Jedermann Tour an, bei der die Teilnehmer die Wahl zwischen der kleineren „Weinbergrunde“ (57,5 Kilometer mit 686 Höhenmetern) und einer „Runde durch die Region Stuttgart“ (117,5 Kilometer mit 1.339 Höhenmetern) hatten. Als „Berufs-Stuttgarter“ war es natürlich naheliegend, mir dieses Event am Sonntag nicht entgehen zu lassen und natürlich musste es die große Runde sein. Somit war die Teilnahme an meinem ersten Radrennen nur noch eine Formsache.
Ich hatte zwar schon ein paar Mal den Radpart bei einer Triathlon-Staffel übernommen, jedoch keine Vorstellung davon, was mich bei einem Rennen in einem großen Peloton erwarten würde. Also wurden die Weisen vom Rad befragt. Ralf hatte gute Ratschläge, unter anderem, nicht unnötig viel vorne zu fahren und zur Not „den nächsten Zug zu nehmen“, wenn es nicht mehr geht. Und wie immer: Am Berg ist jeder alleine. Etwas mulmig wurde mir bei dem Hinweis, dass sich die Teilnehmer bei Jedermannrennen mittlerweile nichts mehr schenken und von Anfang an ordentlich Gas geben würden. Oh je, worauf hab ich mich da eingelassen?
Am Samstag dann, wie von Laufveranstaltungen bereits gewohnt, die Startunterlagen am Schlossplatz in Stuttgart abgeholt und die Sachen vorbereitet. Erste Verunsicherung: Wo hin eigentlich mit der Startnummer? Auf dem Rücken war mir schon klar, aber wo genau? Oben? Unten? Warum hab ich eigentlich kein Startnummernband dabei? Wäre das überhaupt zulässig? Ok, wo machen das die Profis ran? Gut, über den Taschen, natürlich auf freien Zugang geachtet. Nochmal Luft auf die Reifen und die Auflieger abgebaut (leider verbot das Reglement solche). Am Sonntag dann eine entspannte Anreise mit der Stadtbahn direkt zum Schlossplatz. Der Start war für 10:51 Uhr angesetzt, mit dem Hinweis gespickt, man möge sich mindestens 30 Minuten vorher in seinem Startblock einfinden. Auch hier kurze Erinnerung an Ralfs Worte: Nicht zu spät und zu weit hinten einordnen. Somit war ich gegen 10:15 Uhr im Startblock E und wartete. Das Smartphone war dabei und so hab ich die Zeit genutzt und ein paar Fotos gemacht und rum gedaddelt.
Dann war es soweit, es ging endlich los. Direkt durch die gesperrte Innenstadt von Stuttgart ging es raus Richtung Osten. Der Flache Kurs und das Fahren in einer größeren Gruppe ermöglichte eine irre Geschwindigkeit, 45 km/h waren locker drin, teilweise trat ich sogar über 50 km/h ohne größere Anstrengung. Aber mir war schon klar, dass das nicht ewig so weiter gehen würde, schließlich warteten ja noch rund 1300 Höhenmeter auf mich. Einfahrt in einen zweispurigen Tunnel, das einzige was man hörte war das irre Summen und Surren hunderter Laufräder auf dem Asphalt, Gänsehaut-Moment. Nach knapp 25 km dann die erste Steigung, die aber dann gefühlt auch schnell bewältigt war. Ich hatte mir die Strecke zwar mehrfach angeschaut und wusste auch, wo ich langfahren würde, aber während des gesamten Rennens hatte ich nur in wenigen Momenten wirklich eine Ahnung, wo ich jetzt genau war. Der Tunnelblick und der Rausch waren größer als gedacht. Durch Kirchheim unter Teck hindurch ging es dann weiter Richtung Norden durch das Nassachtal Richtung Schorndorf. Ziemlich langgezogene Steigung, bei der es auch über den höchsten Punkt der Tour ging. Bei der Abfahrt passierte es dann doch: An einer Kreuzung innerorts hab ich mich arg verschätz mit der Geschwindigkeit und bin dann nur noch scharf bremsend geradeaus gefahren. Glücklicherweise war die Straße hier nicht zu Ende und ich kam mit einem leichten Schrecken davon. Die Kette nach der Abfahrt fast ganz rechts dauerte es einige Momente, bis ich wieder in den Tritt gekommen bin. Kurzer Blick auf die Uhr: bereits 80 km in den Beinen. Ab diesem Moment ging der Kampf mit mir selbst los. Ich zählte jeden einzelnen Kilometer. Nach etwa 90 km wurde es dann richtig hart: Für eine Autobahnüberführung ging ich kurz aus dem Sattel und wollte im Wiegetritt hoch, als ich merkte, dass meine Oberschenkel begannen, zuzumachen. Na super, ich hatte immer noch im Hinterkopf, dass mich der Pragsattel auf den letzten Kilometern erwarten würde. Mit ordentlich Kraft zu treten war also nicht mehr drin. 25 km vor dem Ziel zeigte die Straßenbeschilderung Stuttgart nach links, Ludwigsburg nach rechts. Und das gesamte Fahrerfeld bog nach rechts ab! Mittlerweile schmerzten die Beine auch beim normalen Treten. Irgendwann kam jedoch das Ortsschild von Stuttgart und ich versuchte so gut es geht mit zu schwimmen. Immer wieder überholten mich „Züge“, ich hatte aber nicht ansatzweise das Gefühl, hier aufspringen zu können. Ich kam mir vor wie in einer alten rostigen Draisine. Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, kurz abzusteigen und mich an den Straßenrand zu legen. Aber der Gedanke verschwand schnell wieder. Weiter geht’s, nur noch wenige Kilometer! Und dann kam er, der Pragsattel! Ein gefühlt 25 % nicht enden wollender Anstieg. Irgendwann muss es doch bergab gehen? Entschädigt wurden die Teilnehmer für eine schöne Aussicht von oben auf die Stuttgarter Innenstadt, für die ich in diesem Moment aber weiß Gott keinen Blick hatte. Die letzten Kilometer. Es ging bergab, vorbei an der Universitätsbibliothek, mein Arbeitsplatz. Dann konnte es ja nicht mehr weit sein. Die Schilder kündigten es an, nur noch 500 Meter. Einige Fahrer um mich herum setzten zum Zielsprint an. Für mich überhaupt nicht dran zu denken, ich überlege mir, wie ich vom Rad kommen soll ohne zu krampfen. Vielleicht einfach seitlich an die Bande fallen lassen. Die letzten Meter, die Zuschauer stehen entlang der Strecke und machen ordentlich Krach, Sandra ruft mich und winkt mir zu. Schließich die Ziellinie: Geschafft, nach 3:41 h war die 117,5 km lange Strecke bezwungen. Die ca. 500 Meter lange Ausrollzone brauche ich nur wenige Meter, nichts geht mehr. Absteigen ging dann überraschender Weise doch ganz gut. Nach dem Empfang der wohlverdienten Medaille wollte ich mich nur noch hinlegen. Was für eine Erfahrung, ich gestehe mir ein, die Sache vielleicht doch ein klitzeklein wenig unterschätzt zu haben. Sandra findet mich und versorgt mich mit einem alkoholfreien Weizen. Der Schmerz lässt nach und nach ein paar Minuten kann ich wieder einigermaßen gehen.
Die Deutschland Tour endete mit der Zieleinfahrt der Profis knapp 2 Stunden nach der Jedermann Tour auf der gleichen Strecke, die wir uns noch anschauen. Eine tolle Veranstaltung, die Hunger auf mehr macht. Danke an Sandra für die tolle Unterstützung am Rennwochenende und danke an Ralf für die vielen hilfreichen Tipps. Ich habe beschlossen, den Fokus im nächsten Jahr verstärkt auf Radrennen zu legen.